Montag, 13. Oktober 2025

Der große Split der Gesellschaft

In den letzten Jahren zeigt sich ein zunehmendes Auseinanderdriften innerhalb der Gesellschaft. Sie teilt sich in Gruppen, die sich nicht nur in Meinungen, sondern in grundlegenden Weltverständnissen unterscheiden. Während manche Menschen den Weg nach innen suchen – auf der Spur ihrer Empfindungen, Werte und inneren Wahrheiten – orientieren sich andere ausschließlich nach außen, an sichtbaren Erfolgen, materiellen Strukturen und messbaren Ergebnissen. Diese Spaltung ist keine neue Entwicklung, sondern eine Wiederkehr eines alten, archetypischen Gegensatzes: des inneren und des äußeren Weges, des esoterischen und des exoterischen Prinzips.

Der nach innen gerichtete Mensch sucht Bedeutung im Erleben, im Bewusstsein und in der Beziehung zu sich selbst und anderen. Für ihn ist die Innenwelt Quelle der Wahrheit, moralischer Maßstab und Raum der Wandlung. Figuren wie Jesus, Buddha oder auch Sokrates stehen exemplarisch für diesen Typus: Menschen, die das Innere zum Ausgangspunkt ihrer Erkenntnis machten – und damit oft auf Widerstand stießen. Sie stellten die äußeren Systeme infrage, weil sie den Ursprung des Handelns in der inneren Haltung suchten.

Auf der anderen Seite stehen jene, die ausschließlich im Außen leben und wirken. Für sie zählt das Objektive, das Messbare, das Kontrollierbare. Sie betrachten die Innenwelt als Illusion oder sogar als Bedrohung ihrer Ordnung. Margaret Thatcher ist ein Beispiel für diese Denkweise: Ihr berühmter Satz „There is no such thing as society“ drückt die radikale Ablehnung kollektiver und innerer Verbundenheit aus. Es zählt allein das Individuum, die Leistung, der Markt – alles andere gilt als sentimentale Schwäche.

Diese beiden Richtungen existieren seit Jahrtausenden. Immer wieder entfachte der Konflikt zwischen ihnen politische, kulturelle und spirituelle Kämpfe. Heftig wird es, wenn Menschen ihre eigene Zugehörigkeit zu einer der Richtungen nicht erkennen – wenn jemand vorgibt, innerlich orientiert zu sein, tatsächlich aber aus einem äußeren, machtbasierten Denken heraus handelt. Solche Unklarheiten führen zu Verwirrung, Misstrauen und Spaltung, da Authentizität und Integrität verloren gehen.

Heute scheint sich die Gesellschaft zunehmend in diese beiden Pole aufzuspalten. Die eine Seite zieht sich in Selbstreflexion, Heilung und innere Erkenntnis zurück, während die andere Seite in Kontrolle, Regulierung und technokratischer Rationalität ihr Heil sucht. Politik und Wirtschaft verstärken dabei oft die exoterische Tendenz, indem sie Menschen in äußere Rollen, Zwänge und Leistungssysteme drängen. Der innere Weg wird belächelt, pathologisiert oder systematisch entwertet.

Doch eine Gesellschaft, die das Innere verleugnet, verliert ihren moralischen und emotionalen Kompass. Ebenso wie eine, die sich ausschließlich ins Innere zurückzieht, Gefahr läuft, die reale Welt zu verlieren. Das Gleichgewicht zwischen beiden Kräften – der inneren und der äußeren, der kontemplativen und der aktiven – wäre die reife Form des gesellschaftlichen Bewusstseins.

Der große Split ist somit nicht nur eine soziale oder politische Spaltung, sondern ein Bewusstseinskonflikt. Es ist der uralte Streit zwischen Sein und Haben, zwischen Geist und Materie, zwischen Tiefe und Oberfläche. Vielleicht liegt die Aufgabe unserer Zeit nicht darin, eine der Seiten zu besiegen, sondern sie zu versöhnen – in uns selbst und in der Welt. Denn nur dort, wo Innen und Außen in Einklang kommen, kann eine wirklich lebendige Gesellschaft entstehen.

2025-10-13

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