Montag, 17. November 2025

Die Welt als surrealer Albtraum

– Über eine Wirklichkeit, in der das Absurde zur Norm geworden ist 

Die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit wirkt für viele Menschen zunehmend wie ein surrealer Albtraum. Einst klare Linien zwischen Möglichem und Absurdem scheinen sich aufzulösen, und Entwicklungen, die noch vor wenigen Jahren als unwahrscheinlich galten, werden heute nahezu selbstverständlich akzeptiert. Dieser Eindruck entsteht nicht aus bloßer Überzeichnung, sondern aus einer tiefgreifenden Verschiebung sozialer, politischer und kultureller Orientierungspunkte.

Auflösung gewohnter Orientierungen

Gesellschaften funktionieren, weil Menschen ein gemeinsames Verständnis davon teilen, was realistisch, sinnvoll und normativ vertretbar ist. Doch diese stillen Übereinkünfte geraten zunehmend ins Wanken. Der öffentliche Diskurs ist geprägt von Übertreibungen, Polarisierung und einer Zersplitterung von Wahrheiten. So wächst eine Atmosphäre, in der extreme Positionen nicht nur geduldet, sondern häufig zum Maßstab des Gesprächs werden. Die Grenze zwischen rationale Einordnung und grotesker Überzeichnung verschwimmt – und mit ihr die Fähigkeit, Entwicklungen angemessen zu bewerten.

Das Absurde als akzeptierte Normalität

Was früher als Ausnahme galt, erscheint heute oft als gesellschaftliche Regel. Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und öffentlicher Kommunikation folgen manchmal Logiken, die kaum noch mit gesundem Menschenverstand erklärbar sind. Strukturen, die Stabilität bieten sollten, wirken fragil oder widersprüchlich. Gleichzeitig verbreiten sich Narrative, die sich um Schlagkraft mehr bemühen als um Kohärenz.

Diese Normalisierung des Unwahrscheinlichen erzeugt ein paradoxes Gefühl: die gleichzeitige Präsenz von Überforderung und Abgestumpftheit. Menschen erleben Ereignisse, die sie erschüttern müssten – doch da solche Ereignisse Teil eines anhaltenden Stroms irritierender Entwicklungen sind, werden sie zunehmend als gegeben wahrgenommen.

Ursachen des surrealen Eindrucks

Mehrere Faktoren tragen zu diesem Gefühl einer traumähnlichen Wirklichkeit bei:

  • Informationsüberflutung: Die permanente Reiz- und Nachrichtenflut schafft eine Welt, die sich schneller bewegt, als sie verarbeitet werden kann. Dadurch entsteht eine Wahrnehmung hektischer Unberechenbarkeit.

  • Erosion gemeinsamer Wirklichkeit: Unterschiedliche Gruppen leben in voneinander getrennten Bedeutungswelten. Was in der einen als Fakt gilt, erscheint der anderen als Fiktion.

  • Strukturelle Unsicherheiten: Ökonomische, ökologische und geopolitische Krisen verstärken das Gefühl, dass stabile Grundlagen weggebrochen sind.

  • Werteverschiebungen: Traditionelle Orientierungssysteme – etwa Ethik, Gemeinwohl oder Verantwortung – verlieren in manchen Bereichen an Gewicht, während kurzfristige Vorteile, Emotionalisierung und Profitorientierung stärker dominieren.

Existenzielle Verunsicherung und gesellschaftliche Erschöpfung

Das Empfinden eines surrealen Albtraums ist nicht nur eine kulturelle Metapher, sondern beschreibt einen realen psychischen Zustand vieler Menschen: eine Mischung aus Verwirrung, Ohnmacht und dem Gefühl, permanent auf Ereignisse reagieren zu müssen, die den Rahmen des Erwartbaren sprengen.

Diese Erschöpfung zeigt sich sowohl im individuellen Alltag als auch in kollektiven Reaktionen wie Rückzug, Zynismus oder zunehmender Radikalisierung. Wenn das Absurde alltäglich wird, droht die Fähigkeit verloren zu gehen, klare Maßstäbe zu definieren und zwischen stabilen und zerstörerischen Entwicklungen zu unterscheiden.

Notwendigkeit eines neuen inneren Kompasses

Gerade in einer Zeit, in der äußere Orientierungspunkte verschwimmen, gewinnt die innere Orientierung an Bedeutung. Dazu gehören:

  • das bewusste Hinterfragen von Narrativen,

  • das Prüfen eigener Werte,

  • das Kultivieren von Klarheit und Ruhe inmitten des Lärms,

  • sowie das bewusste Pflegen von Beziehungen und Räumen, die Realität werden.

Nur durch solche Formen innerer Stabilisierung gelingt es, die surreale Qualität der Gegenwart zu durchdringen, ohne ihr zu erliegen.

Eine Wirklichkeit im Übergang

So albtraumhaft die gegenwärtige Welt erscheinen mag – sie ist zugleich ein Ausdruck tiefgreifender Übergänge. Gesellschaften bewegen sich selten linear. Wenn gewohnte Ordnungen bröckeln, fühlt sich die Welt häufig paradox, chaotisch oder unwirklich an. Doch gerade in solchen Momenten entstehen auch neue Perspektiven, alternative Denkweisen und Räume für Veränderung.

Die Vermischung von Möglichem und Absurdem ist daher nicht nur Symptom einer irritierten Zeit, sondern auch Zeichen dafür, dass alte Muster nicht mehr tragen und neue noch nicht ganz sichtbar sind. Der Albtraum beschreibt nicht das Ende der Wirklichkeit, sondern einen Zwischenzustand, in dem sich entscheidet, welche Formen von Realität wir künftig akzeptieren – und welche wir bewusst überwinden wollen.

2025-11-17


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